Von Menschen in Tiergestalt


Im Osten von der Sonne und im Westen vom Mond

Hoch oben in den Bergen lebte ein armer Häusler mit seiner Familie. Er hatte die ganze Stube voller Kinder, aber so arg wenig, um sie satt zu machen und sie zu kleiden. Schön waren seine Kinder alle, aber die jüngste, die jüngste war so schön, dass ich einfach nicht sagen kann, wie schön sie war.
Es war an einem Donnerstagabend im späten Herbst, der Sturm tobte, dass die dicken Balken des Hauses bebten, es regnete. Alle saßen um das Feuer herum. Wie jeden Abend hatte jeder seine Arbeit. Da klopft es, drei Mal. Der Häusler geht zur Tür und öffnet mühsam. "Schönen guten Abend!"
Ein großer weißer Bär steht vor der Tür. "Wenn du mir deine jüngste Tochter gibst, mache ich dich so reich wie du jetzt arm bist." Das gefällt dem Häusler. Er schließt die Tür, geht in die Stube und erzählt. Nun schauen alle die Jüngste an. Die schüttelt den Kopf. "Nein!"
Da geht der Häusler wieder zur Tür. "Komm in eine Woche wieder, dann will ich dir Antwort geben."
Von da an haben sie in der Häuslerhütte nur noch vom Reichtum gesprochen, was sie haben werden, was sie machen werden. Jeden Tag hat jeder aus der Familie der Jüngsten erzählt, wie gut sie es bei dem weißen Bären haben wird. Als der letzte Tag gekommen war, konnte das Mädchen es nicht mehr ertragen. Sie wusch sich und bürstete ihr Haar, sie zupfte ihr einfaches Kleid zurecht. Sie machte sich so schön sie konnte, suchte einige wenige Sachen zusammen und band sie in ein Bündel. Dann saß sie da und wartete.
Als der Bär kam, ging sie ohne ein Wort hinaus. Sie saß auf, und fort ging es.
"Bist du bange?"
"Nein, nein ich fürchte mich nicht!"
"Halt dich gut an meinen Ohren fest!" Fort ging es, weiter und weiter. Sie kamen an einen Berg. Der Berg tat sich auf und da war auf einmal ein Schloss. Ein wunderschönes, ein großes Schloss, hell war es, und es glänzte silbern und golden. Das Mädchen hatte so etwas noch nie gesehen. Der Bär gab ihr auch noch eine Glocke. "Läute, wenn du dir etwas wünschst!"
Sie fand einen gedeckten Tisch und aß sich satt. Als sie sich umgeschaut hatte, fand sie ein weiches, schönes Bett. Müde war sie, sie legte sich zur Ruhe und blies die Kerze aus.
Da öffnete sich die Tür, ein Mensch trat herein und legte sich zu ihr. Das war der Bär. In der Nacht durfte er ein Mensch sein. Ehe es hell wurde am Morgen, verschwand er wieder. Jede Nacht kam er. Es gefiel dem Mädchen gut. Die Zeit ging hin. Da wurde das Mädchen traurig und still. "Was ist es, sprich!"
"Ich habe Heimweh, ich möchte zu den Meinen, möchte wissen, wie es Ihnen geht. Ich bin so viel allein."
"Ich bringe dich heim. Versprich mir, dass du nicht mit der Mutter allein in die Kammer gehst."
"Ja,ja."
Am Sonntag darauf stand der Bär vor dem Tor des Schlosses. Das Mädchen saß auf, und fort ging es. "Denkst du an das, was du mir versprochen hast? Ich bitte dich, geh nicht allein mit der Mutter in die Kammer. Du und ich, wir müssen uns sonst trennen."
"Ja, ja"

Der Bär hält vor einem wunderschönen Hof, einem großen Herrenhaus. War das eine Freude, als die Jüngste wieder da war! Was hatten sie alles zu zeigen und zu erzählen! Einer fragt: "Wie geht es dir?"

"Mir geht es gut, ich habe alles bei dem weißen Bären." Mehr hat sie nicht gesagt. So ging es bis zum Nachmittag. Da mussten alle in die Ställe, das Vieh versorgen. Nur die Jüngste war mit der Mutter allein.

Die Mutter packt sie am Handgelenk. "Komm, wir gehen in die Kammer, hier werden wir gestört, ich muss mit dir sprechen!"

"Nein, Mutter, lass uns hier bleiben, wir können hier sprechen!" Aber die Frau ließ nicht nach, sie zog die Tochter in die Kammer. Dort erzählte das Mädchen von dem Menschen, der in der Nacht zu ihr kommmt.

"Mutter, wenn ich ihn doch nur ein einziges Mal sehen knnte! Nur ein Mal möchte ich ihn sehen!!"

"Du musst ihn sehen, mein Kind, es kann ein Troll sein. Hier hast du eine Kerze! Du zündest sie an, wenn er schläft. Pass nur auf, dass kein Wachs heruntertropft. So kannst du ihn sehen."

Als der Bär wiederkommt, sitzt das Mädchen auf, und fort geht es. "War es so, wie ich gesagt habe? Warst du mit der Mutter in der Kammer?" "Ja, es war so!" "Ich bitte dich so sehr, tu nicht, was die Mutter gesagt hat! Du zerstörst alles. Wir beide werden uns nie wiedersehehn. Ich bitte dich so sehr!"
"Ja, ja"

Einige Zeit geht dahin. Dann aber kommt eine Nacht, in der kann das Mädchen nicht schlafen. Sie steht auf, nimmt den Kerzenstummel, bläst in die Glut und zündet die Kerze an. Dann tritt sie an das Bett. Ein schöner Mensch liegt dort! Ein Prinz, viel schöner als sie sich ihn vorgestellt hat. Sie kann gar nicht anders, sie muss sich herabbeugen und ihn küssen. Da fallen drei Wachstropfen auf sein Hemd. Der Mensch schrickt auf. "Oh, was hast du getan, jetzt hast du alles zerstört. In wenigen Tagen wäre ich erlöst gewesen. Nun aber muss ich zurück. Trolle haben mich verzaubert, ich muss zurück zu ihnen in das Schloss im Osten von der Sonne und im Westen vom Mond. Eine Trollprinzessin, hässlich, mit langer Nase muss ich heiraten. Warum hast du alles zerstört?"

Das Mädchen schluchzt: "Nimm mich mit!"
"Wie kann ich dich mitnehmen?"
"Oh, sag mir doch den Weg, ich folge dir!"
"Es gibt keinen Weg!"

Als das Mädchen am Morgen erwacht, liegt sie auf einer Wiese, sie hat ihr altes Kittelchen an, ihr Bündel liegt neben ihr. Das Schloss ist verschwunden. Da schluchzt sie noch ein Mal auf, und dann geht sie. Sie geht und geht und geht.

Sie kommt zu einem Berg. Davor sitzt ein altes Weiblein. Es spielt mit einem goldenen Apfel. "Grüß dich, Mütterchen. Weißt du den Weg zum Schloss im Osten von der Sonne und im Westen vom Mond? Ich muss zu dem Prinzen."

"Gehört habe ich davon, mein Kind, aber den Weg weiß ich nicht. Sag mir, bist du die, die der Prinz haben soll?"
"Ja, Mütterchen, ich bin es, hilf mir!"
"Ich gebe dir mein Pferd, dann brauchst du nicht mehr zu laufen Es trägt dich zu meiner Schwester. Sie ist älter, sie weiß mehr. Ich schenke dir den goldenen Apfel. Du wirst ihn brauchen."

Nun kann das Mädchen reiten, das Pferd trägt sie nur so dahin. Und wieder kommt ein Berg, ein altes Mütterchen sitzt davor.
Auch sie weiß nicht viel von dem Schloss. "Ich gebe dir mein Pferd, das ist noch schneller. Ich schenke dir die goldene Haspel zum Garnwickeln, du wirst sie brauchen.
So reitet das Mädchen weiter. Und wieder kommt sie vor einen Berg, da sitzt eine alte Frau. "Sei gegrüßt, Mütterchen. Weißt du den Weg zum Schloss im Osten von der Sonne und im Westen vom Mund? Ich muss zu dem Prinzen."

"Bist du die, die er haben soll? Oh, mein Kind, ich weiß den Weg nicht, aber ich helfe dir. Du bekommst mein Pferd. Wenn du dich nicht fürchtest, trägt es dich zum Ostwind. Vielleicht bringt es dich hin."
"Ich fürchte mich nicht, Mütterchen, nein."
"So schenke ich dir einen goldenen Spinnrocken. Du wirst ihn brauchen." 

Das war ein langer, ein weiter Ritt bis zum Ostwind. "Lieber Ostwind, bitte bring mich zum Schloss im Osten von der Sonne und im Westen vom Mond."

"Oh, mein Kind, das ist viel zu weit. Dazu bin ich zu schwach. Aber wenn du dich nicht fürchtest, bringe ich dich zu meinem Bruder, dem Westwind, sitz auf!"
Und schon geht es fort zum Westwind. Aber der Westwird kann es auch nicht. Und so bringt der Westwind das Mädchen zum Südwind. Da ist es warm und schön, und gütig ist der Südwind. "Mein Kind, ich würde dich gern hinbringen, wenn ich es könnte. Aber ich bin zu schwach. Wenn einer dich hinbringen kann, dann ist es mein Bruder, der Nordwind. Er ist grausig. Fürchtest du dich nicht vor ihm?"

"Nein, nein, ich bin nicht bange, bring mich zu ihm."

Beim Nordwind war es wirklich gruselig. Eisig kalt war es, und wild war der Nordwind.

Das Mädchen erstarrte. Aber sie ging auf ihn. "Lieber Nordwind, hilf du mir. Du kannst mir helfen. Ich muss zum Schloss im Osten von der Sonne und im Westen vom Mond. Ich muss zu dem Prinzen."

"Es ist mir zu weit, ich kann es nicht. Ich war nur einmal da."
"Lieber Nordwind, ich bitte dich so sehr!"

Da ließ sich der Nordwind erweichen. Das Mädchen stieg auf, und der Nordwind trug sie dahin, immer über das Meer. Ein weiter Weg war es. Das Mädchen spürte, wie der Nordwind immer schwächer wurde. Er blies immer tiefer, und die Wellen kamen schon an ihre Fersen. Aber der Nordwind hat es noch geschafft, er hat das Mädchen auf das Land geschleudert. Danach musste er sich sieben Tage ausruhen, so müde war er. Das Mädchen aber stand sofort auf, lief auf das Schloss zu, suchte sich das größte Fenster aus, setzte sich hin und spielte mit dem goldenen Apfel.

Und wer schaut als erstes aus dem Fenster? Die Prinzessin, natürlich die mit der langen Nase.

"Oh, was hast du für ein feines Spielding, das muss ich haben. Was soll es kosten?"
"Für Geld ist es nicht zu haben.""
Ich will es aber haben! Was willst du dafür?"
"Wenn ich eine Nacht in der Kammer des Prinzen verbringen darf, sollst du es haben."
"Gewiss, gewiss, komm nur, wenn es dunkel wird!" Als es dunkel ist, wird das Mädchen in die Kammer geführt. Die Kammer wird verschlossen. Sie tritt an das Lager, spricht leise. Sie rüttelt den Prinzen. Aber er schläft. Die ganze Nacht spricht sie mit ihm, leise, damit sie niemanden stört und niemand sie hört. Sie rüttelt und schüttelt ihn, aber er wird nicht wach. Wie es Tag wird, wird sie aus der Kammer gejagt.

Am Mittag sitzt sie schon wieder vor dem großen Fenster. Nun hat sie die Haspel und wickelt Wolle auf.

"Was hast du da noch für ein schönes Ding, auch das muss ich haben."
"Für eine Nacht in der Kammer des Prinzen sollst du es haben."
Wieder wird sie in die Kammer geführt. In dieser Nacht hat sie so laut geschluchzt. Ihre ganze Geschichte hat sie dem Prinzen ins Ohr geschrien. Er ist nicht erwacht. Als es Tag wurde, jagte man sie aus der Kammer.

Am Mittag saß sie wieder vor dem großen Fenster. Nun spielte sie mit dem goldenen Rocken.

"Das muss ich auch haben", rief die Prinzessin aus dem Fenster, "komm nur heute abend!"

Nun war es so, dass die Trolle in diesem Schloss nicht nur den Prinzen gefangen hielten, oh nein, viele Christenmenschen waren in dem Schloss. Die hatten in der letzten Nacht das Weinen gehört. Sie hatten jemanden schreien hören, und sie fragten den Prinzen: "Was war in deiner Kammer? Warum hast  du nicht geantwortet?" Da begann der Prinz etwas zu ahnen.
Als an diesem Abend die Prinzessin mit dem Schlaftrunk kam, tat er nur so, er hat den Trunk nicht genommen. Das Mädchen wurde in die Kammer geführt, die Kammer verschlossen. Sie trat an das Bett. Da öffnete der Prinz die Augen. War das eine Freude!
"Du kommst früh genug, du kannst mich noch erlösen. Ich habe noch nicht geheiratet, habe die Hochzeit immer wieder hinausgeschoben."
Oh, wie waren sie glücklich miteinander die ganze Nacht. Am andern Morgen geht der Prinz zu der Trollalten. "Nun will ich erst sehen, was meine Braut kann! Hier ist ein Hemd, es hat drei Wachsflecken, die muss sie herauswaschen."
Die Trollalte stimmt dem Prinzen zu: "Ja, ja, das wird sie schon tun." Die Trollprinzessin kommt, nimmt das Hemd in die Hand und fängt an, zu waschen. Sie wäscht und wäscht. Die Flecken werden nicht kleiner, sie werden größer. Die Flecken werden noch größer und noch dunkler. Alle Trollweiber haben jetzt das Hemd gwaschen, und als sie fertig waren, war das Hemd so schwarz, als wäre es durch den Kamin gezogen worden. "Ihr könnt nicht einmal ein Hemd waschen. Dort unten ist ein Mädchen. Ich will es rufen!" Da winkt der Prinz dem Mädchen.

So ist die jüngste Tochter des Häuslers in das Schloss der Trolle gekommen. "Mädchen, kannst du dieses Hemd waschen?" "Ich weiß es nicht, aber versuchen will ich es.!" Da nahm das Mädchen das schwaze Hemd in die Hände.

Sie tauchte es in das klare Wasser. Da ist das Hemd weiß geworden wie frisch gefallener Schnee. Jetzt wussten die Trolle, dass der Prinz und alle Christenmenschen erlöst sind. Vor Ärger sind sie alle zerplatzt!

Der Prinz aber und das Mädchen waren überglücklich miteinander. Sie haben alle befreit, die im Schloss waren. Dann sind sie fort, fort von dem Schloss im Osten von der Sonne und im Westen vom Mond.


(aus Norwegen)