Weshalb die Fischlein keine Sprache haben

Dass Gott nicht nur uns Menschen, sondern allen seinen Geschöpfen eine Stimme gegen hat, damit sie zueinander reden können - nun, das wisst ihr ja.
Ihr hört die Hunde bellen und Kätzlein miauen, die Vögel jubilieren und die Bienen summen, und noch viele andere Tiere hört ihr - ein jedes auf seine Art. Und wenn ihr noch genauer hinhört, dann vernehmt ihr auch, wie das Wasser murmelt und die Gräser flüstern, wie der Wind pfeift und die Kornähren wispern, wie der Regen mit den Dächern schwarzt und die Blätter an den Bäumen miteinander plaudern. Wenn ihr aber einmal ganz leise und still sein könntet, dann würdet ihr auch die Schmetterlinge, die Blumen, ja sogar die Wolken und Sterne hören können, die alle ganz wundersame Stimmen haben.
Nur von den Fischlein - und wenn ihr auch noch so leise wäret, würdet ihr keinen Laut vernehmen, denn die sind wirklich stumm.

Freilich waren sie es nicht immer, vielmehr hatte ihnen Gott der Herr eine ganz besonders starke und laute Stimme gegeben, damit sie das Rauschen und Glücksen des Wassers durchdringen konnten. Aber sie nutzten diese Gabe schlecht.
Sobald sie nämlich ihre Köpfe aus dem Wassser herausstreckten, zankten und stritten sie mit jedem, den sie sahen, wollten alles besser wissen und verlangten, dass man sie ganz besonders ehre.

Von diesem vielen Geschrei aber wurden ihre Mäuler immer größer und breiter und ganz und gar hässlich obendrein, denn dass man hässlich ausschaut, wenn man großmäulig daherredet, das wisst ihr selber. Es half den Fischlein aber gar nichts, dass sie sich mit ihrem Geschrei auch noch die Mäuler verdarben, denn die anderen Geschöpfe hatten beschlossen, überhaupt nicht auf die Störenfriede zu achten, und niemand hörte ihnen mehr zu.

Das aber war das Schlimmste, was den Fischen passieren konnte, und aufgeregt huschten und schnellten sie durch das Wasser und beratschlagten in einem fort, wie sie es erreichen könnten, dass alle Wesen auf sie hörten. Darüber wurde es Abend, und die Fischlein vergaßen ganz, zu Bett zu gehen, so wichtig hatten sie es. Und da sahen sie zum ersten Mal den Himmel voller Sterne, denn sonst schliefen sie ja längst um diese Zeit.
Nun mussten selbst die Fische zugeben, dass die Sternennacht mit den blitzenden, funkelnden Lichtern am dunklen Himmel ein wunderbarer Anblick sei.

Aber leider konnten sie mit ihren neidischen Herzen nicht lange Freude daran empfinden. Ihre eigenen Kleider fielen ihnen ein, die nicht so prächtig schimmerten wie die der Sterne. "Ja, wenn wir Kleider hätten wie die Sterne", sprachen die Fische einer zum anderen, "dann würden die anderen Wesen staunen, dann müssten sie alle nach uns hinschauen. Ja, wenn wir solche Kleider hätten wie die Sterne!"

Immer lauter riefen sie es einander zu, und schließlich schallte es durch die Stille der Nacht bis zu Gott dem Herrn hinauf: "Ja, wenn wir solche Kleider hätten wie die Sterne!"

Nun war die Nacht aber von Gott geschaffen worden, damit alle Erschöpften Ruhe finden könnten nach der Mühe und Arbeit des Tages. Daher verdross es ihn sehr, dass die Fische nun auch die Nacht zu stören begannen, wie sie schon lange den Tag störten, und er wandte sich ihnen zu und sprach:
"Wenn ihr denn meint, ich hätte euch schlecht bedacht, als ich eure Kleider machte, will ich euch andere geben aus Gold und Silber, so wie die Sterne sie haben, aber still müsst ihr dann sein und stumm, denn eins könnt nur bekommen: die glänzenden Kleider oder die tönenden Stimmen."
Und alle Fischlein riefen wie aus einem Munde: "Die Kleider, die Kleider, gib uns die glänzenden, funkelnden Kleider!"
Da ließ Gott der Herr ihre Münder verstummen, und wie sehr die Fische nun auch die Lippen bewegen, es geht kein Laut mehr aus ihnen hervor. Und er gab ihnen Kleider, so mannigfaltig in den Formen, so zauberhaft in den Farben, so über und über geheimnisvoll funkelnd, wie er sie kaum einem seiner anderen Geschöpfe geschenkt hat.

Aber stumm müssen sie diese Pracht tragen, selten gesehen und kaum beachtet im tiefen Wassergrunde, und wenn alle anderen Wesen sich vereinen und Gottes schöne Welt loben und preisen, so fehlt ihre Stimme im Chor.
Die großen, breiten Mäuler aber haben sie behalten bis zum heutigen Tag.